Tuesday, September 15, 2009

90-99: Slowdive


Unter dem Sammelbegriff „Shoegazing“ wurden einige Bands der späten 80er/ frühen 90er zusammengefasst, deren einende Merkmale man auf die Kombination von wall-of-sound-Gitarren und entrücktem Gesang herunterbrechen könnte. Bei vielen Gruppen beschränkte sich die Anwendung dieser Formel zwar auf das Nachbeten des „Psychocandy“-Katechismus’, doch entstanden auch abseits der zu Recht in den Himmel gelobten My Bloody Valentine Bands, die das Wiederhören verdienen.
Slowdive, 1989 gegründet und zu Zeiten ihrer ersten Singles noch hochgelobt, fielen mit ihren Alben unglücklicherweise in eine Phase, in der die britische Musikpresse bereits mehr mit Grunge und Britpop beschäftigt war. Interesse an einer weiteren Shoegazekapelle, die auch noch besonders wenig Wert auf attitude und Direktheit legte, bestand kaum – neben dem berüchtigtem Zitat von Nicky Wire lassen sich in NME und Melody Maker viele farbenfrohe Verrisse finden (Dave Simpson zu Souvlaki: „I would rather drown choking in a bath full of porridge than ever listen to it again“).


Erst in der Retrospektive erlangte die bereits 1995 aufgelöste Band einen gewissen Status, vor allem bei eher elektronisch orientierten Musikern (erinnert sei an den auf Morr-Music erschienenen, aber leider nur nett statt guten Slowdive-Tribute-Sampler). Denn was die Band von vergleichbaren Gruppen abhebt, ist die durch das massive Bearbeiten und Verfremden der Gitarren produzierte fließende Klanglandschaft, die sich weniger auf Riffs als auf das Übereinanderlegen von Flächen stützt. Dadurch klingen Slowdive selbst in ihren lautesten und dissonantesten Momenten entrückt und schwebend, wie zum Beispiel bei „Albatross“ von der „Holding Our Breath“ EP, und steht so dem ähnlich gelagertem Quasi-Ambient der frühen Seefeel sehr nah. Mehr als diese (ebenfalls großartige) Post-Rave-Gruppe stellten Slowdive jedoch immer noch das Songwriting ins Zentrum. Nach dem in dieser Hinsicht noch etwas unausgereiften Debüt „Just for a Day“ (1991) und einigen EPs folgte daher mit „Souvlaki“ eine Sammlung von zehn dramatisch-distanzierten Liedern, die dabei tatsächlich auch Hit-Qualitäten haben, vor allem natürlich „Alison“ und „When the Sun Hits“. Aufgrund der oben genannten Zeitgeistdifferenz in Großbritannien und massivster Probleme mit dem amerikanischen Label wurden es jedoch keine Chartserfolge. „Souvlaki“ ist natürlich trotzdem ein großes Album, welches zum Teil mit dem von der Band hoch verehrten Brian Eno aufgenommen wurde und mit „Souvlaki Space Station“ einen ungewöhnlich Dub-lastigen Track enthält, der durchaus auch von Seefels Debütalbum „Quique“ (ebenfalls 1993 erschienen) stammen könnte. Dieses Stück deutete bereits an, in welche Richtung sich die Band weiter entwickeln würde.


Denn der Balanceakt zwischen Song und Track wurde auf dem letzten Album „Pygmalion“ noch mehr zugunsten der Klangexperimente verlagert. Bereits auf der „5-EP“ hatten Slowdive begonnen, ihr zunehmendes Interesse an elektronischer Tanzmusik in ihre Musik einzubringen. Wohl auch als Trotzreaktion auf Creation-Labelchef Alan McGees Forderung, doch endlich einen Chart-Hit abzuliefern, konstruierte die Band nun aus noch stärker verfremdeten Gesangs- und Gitarrenloops ein elegisches Album mit sehr assoziativen, zwischen 1 und 10 Minuten langen Tracks, die es schaffen, gleichzeitig fremdartig und ungeheuer vertraut zu klingen. Von der aufwendigen Produktion und dem mangelnden Erfolg ausgelaugt löste sich die Band nach diesem Meisterwerk jedoch auf.

Die bereits nach kurzer Zeit von den drei Slowdive-Mitgliedern Neil Halstead, Rachel Goswell und Ian McCutcheon gegründete Quasi-Nachfolgeband Mojave 3 ist bis heute aktiv, bewegte sich jedoch in etwas konventionelleren 60s-Pop- und Folk-Gefilden. Doch Slowdives Einfluss ist abseits der Bands die sich explizit auf Shoegaze beziehen vor allem bei vielen der melancholischeren Postrock- und Electronika-Musikern der letzten Jahre (Pan American, Labradford,…) offensichtlich.

Monday, September 7, 2009

Gilbert Blecken – Destination: Pop


Fanzines nahmen in der Popkultur der Neunziger Jahre eine nicht zu unterschätzende Stellung ein. Über den informativen Gehalt hinaus fungierten sie vor dem großen Durchbruch des World Wide Web in einigen Subkulturen, wie etwa der Riot Grrrl-Bewegung, als essentielle Austauschforen. Im Gegensatz zu vorgefertigten Interviews aus herkömmlichen Musikpostillen liegt dem Fanzine der besondere Reiz inne, sich abseits der obligatorischen Promo-Themen den Künstlern zu nähern. Gleichzeitig birgt es für die Macher die Gefahr harscher Abweisungen, die am Helden-Image von verehrten Künstlern kratzen und im Extremfall zur frustrierten Trennung von geliebten Platten führen können.

An diesem Punkt – der unmittelbare Kontakt zum Künstler – setzt Gilbert Blecken mit Destination: Pop an, einer Kollektion, die einen retrospektiven Überblick aus 20 Jahren eigener Fanzine-Tätigkeit gibt. Neben den 50 Interviews, von denen die meisten bislang noch nicht erschienen sind, hat man es hier mit einem Meta-Diskurs über die Möglichkeiten und Grenzen des Interviews zu tun. Einleitende Informationen zur jeweiligen Gesprächssituation vermitteln einen Einblick darüber, so der Autor im Vorwort, „wie sich Musiker gegenüber ihren Fans verhalten“. Zweifellos kein unambitioniertes Vorhaben, das dank detailgetreuer Beschreibungen äußerst wechselhafter Erfahrungen jedoch den Ansprüchen gerecht wird. Besonders spannend lesen sich dabei die albtraumhaften negativen Erfahrungen. Hier wird kein Blatt vor den Mund genommen und mit einer angemessenen Portion Selbstironie und einer dem Autor eigenen Kunst der Zuspitzung geschildert, wie einem beispielsweise ein ruppiger Tori Amos-Tourmanager den Tag so richtig verderben kann.

Und dann sind da natürlich die Interviews selbst: unter den Befragten finden sich nicht wenige Künstler, die in den letzten drei Jahrzehnten stilprägend waren. Die Spannweite reicht dabei von Bands, die zum Zeitpunkt des Interviews ihren Zenit bereits überschritten hatten und entsprechend gelassener wirken (wie Propaganda, The Associates, Scritti Politti) über werdende Stars auf dem Weg nach oben (Blur, Nirvana) bis hin zu einstigen Hoffnungsträgern, die inzwischen oft zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind (Voice Of The Beehive, Sexus, Crossover). Ein Rückblick dieser Art ist aus heutiger Sicht auch bezüglich der Aktualität popkultureller Themen interessant: wiederkehrende Diskurse über Musikformate (CD versus Vinyl damals, Downloads heute) oder kurzlebige Modeerscheinungen – nur die Wenigsten erinnern sich wahrscheinlich heute noch an RoMo –, britisch-amerikanische Gegensätze oder der Einfluss von Drogenkonsum auf musikalische Produktionen.

Gerade neuere Interviews mit alten Helden versprühen dabei einen gewissen Hauch von Nostalgie, wenn etwa James Bradfield über die kontrovers-berüchtigten Presse-Auftritte der jungen Manic Street Preachers (eine Band, die damals eine riesige Fanzinekultur nach sich zog und stets großen Wert auf ihre kreative Anhängerschaft legte) sinniert. Nebenbei bietet einem die chronologische Anordnung der Interviews, beginnend mit Marc Almond im Jahr 1990, auch das Vergnügen, die über die Jahre voranschreitende Professionalisierung des Autors selbst mit zu erleben. All dies macht „Destination:Pop“ eben zu mehr als einer umfangreichen Interview-Sammlung.