Tuesday, October 26, 2010

+ + + + + + + UMZUG + + + + + + +


Der Hyphish ist in Wordpress-Gewässer geschwommen und ab sofort unter dieser Adresse zu finden - natürlich weiterhin mit lesenswerten Beiträgen zu Musik, Filmen, Veranstaltungen und allem anderen, das interessant ist. New look, same attitude - read on!

Thursday, September 9, 2010

ZOLA JESUS


New Yorker Clubs wie das Luxx, Labels wie Mogul Electro und der einst unausweichliche Larry Tee sind relativ unbemerkt aus dem Radar der Hipster verschwunden, aber Brooklyn ist nach wie vor für gute Electropop-Künstler gut. Davon zeugten jüngst Telepathe, High Places oder Chairlift und aktuell Nika Roza Danilova alias Zola Jesus, die in diesem Jahr bereits im Vorprogramm von Fever Ray europäische Bühnen bespielte. Mit letzteren hat sie zwar einen ähnlichen musikalischen Ansatz und eine düstere Grundstimmung gemein - doch während die Musik von Karin Dreijer Andersson ihre stärkste Wirkung entweder in weitläufigen Klanglandschaften oder extrem klaustrophobischen Momenten entfaltet, kommt bei Zola Jesus eine großräumige Festsaalsatmosphäre auf. Musikalisch bewegt sie sich auf der Gradwanderung zwischen melodiösem Pop und Industrial und weckt dabei Erinnerungen an 4AD-Künstler á la This Mortal Coil oder Dead Can Dance. Charakteristisch sind stampfende Bassdrums, betörende Streicher-Teppiche sowie Danilovas erhabene Stimme, die Elizabeth Fraser oder Siouxsie Sioux nicht unähnlich ist. Teils klingt dies wie eine Industrial-Variante von Julee Cruise's Twin Peaks-Hymne "Falling" ("Night"), oft aber auch mit einer fatalen Endgültigkeit ("Clay Bodies"), die Zola Jesus unsterblichen Joy Division-Klassikern wie "Atmosphere" oder "Decades" näher kommen lässt als deren unzählige Gitarren-Nachahmer aus den letzten zehn Jahren. Von ihrem aktuellen Album "Stridulum II" sei an dieser Stelle noch auf ihr sehenswertes Video zu "Sea Talk" verwiesen. Sollte David Lynch eine musikalische Untermalung für eine Neuauflage des Club Silencio oder der Black Lodge benötigen, weiß er, an wen er sich zu wenden hat!

Tuesday, August 10, 2010

Destination Pop: Action Biker, Billy MacKenzie & Steve Aungle


Ein neues Berliner Label, Destination Pop, startet diese Woche mit zwei sehr unterschiedlichen, auf eine Auflage von 500 Exemplare limitierten Vinyl-Veröffentlichungen. Den Anfang macht dabei die schwedische Musikerin Sarah Nyberg Pergament, die in den letzten Jahren als Action Biker bereits einige Singles auf verschiedenen Labels veröffentlichte. „Hesperian Puisto“ erscheint nun erstmalig als 7''-Single (bislang war der Song nur auf dem gleichnamigen Album aus dem Jahr 2008 zu hören) , auf deren B-Seite sich zudem mit „Tears With You Tears Without“ ein bislang unveröffentlichter Track findet. Die Songs von Action Biker zeichnet ein karger, minimalistischer Charme aus, der sehr an die frühen Au Revoir Simone und The Somnambulants erinnert. Die extrem reduzierte Instrumentation aus verhaltenen Drumcomputer-Rhythmen und E-Piano-Arpeggios ergänzt sich hervorragend mit Nyberg Pergaments (teilweise mehrstimmigen) verhuschten Gesang. Ohne auch nur ansatzweise düster daherzukommen, erzeugen die Songs von Action Biker ein Gefühl von beklemmender Isolation, was in dieser Form wohl zuletzt noch am ehesten Emiliana Torrini mit "Dead Things" oder Electronica-Schöngeistern wie Sensorama, Donna Regina oder Aromabar gelang.

Eine besonders pikante Veröffentlichung ist „Return to Love“ von Billy MacKenzie, welches 1995 in Kooperation mit Steve Aungle entstand und nun erstmals alsVinyl-Single erscheint. Der Song gibt einen Einblick in die Spätphase des ehemaligen Associates-Sängers, der zu dieser Zeit auch für Künstler wie Yello, Barry Adamson und Apollo Four Forty Gast-Vocals beisteuerte. Musikalisch beschritt er damals elektronischere Pfade, ohne dabei den Hang zum zeitlosen Pop zu verlieren. Das beweist vor allem "Return to Love": unterlegt mit einem Streicherteppich, der gleich zu Beginn ein Flair der urbanen Melancholie von David Bowies „Low“ aufkommen lässt, hebt der Song mit MacKenzies himmlischem Gesang auf tanzbaren Synthesizer-Rhythmen in unwiderstehlich euphorische Gefilde ab. Heute, nach Italo Disco-Revival, unzähligen Post-Punk-Wiederveröffentlichungen und der Rückkehr des Pop in die Clubs wirkt dies auf seltsame Weise zeitgemäßer als in seiner Entstehungszeit und reiht sich damit problemlos in den Kanon der Associates-Klassiker ein. Die B-Seite „The Soul that Sighs“ schlägt hingegen einen schwermütigeren Ton an und bewegt sich in jenem Grenzbereich zwischen Trip Hop und symphonischen Pop, den in den Neunzigern Bands wie Mono oder Mandalay eindrucksvoll ausfüllten. Angetrieben von schleppenden esoterischen Percussions, einer markanten Piano-Quarte und MacKenzies Gesang – hier sehr an David McAlmont erinnernd –, wirkt das Stück wie eine apokalyptische Variante von Marvin Gaye.

Freunden der Vinyl-Single-Kultur ist wärmstens empfohlen, die weiteren Aktivitäten von Destination Pop im Auge zu behalten. Es besteht Grund zur Hoffnung, dass die Kombination aus Veröffentlichungen hierzulande (noch) unbekannter Künstler und Raritäten früherer Helden in Bälde fortgeführt wird.

Action Biker – Hesperian Puisto / Tears With You Tears Without, Billy MacKenzie & Steve Aungle – Return to Love / The Soul that Sighs (Destination Pop, VÖ: 09.08.2010)

Thursday, July 29, 2010

HIGH PLACES

"On a hill in a bed on a road in a house up a tree on a lake in the woods by the sea by a grave by a chair by a creek by a church on a hill in a bed on a road in a house."

Das akustische Beschreiben von Landschaften hat in der Musik eine lange Tradition. Von Charles Ives „Three Places in New England“ über Brian Enos „Dunwich Beach, Autumn, 1960“ bis zu Aphex Twins „Mt Saint Michel“ist dabei eine aus Nostalgie gespeiste Schwermut oft zentraler Bestandteil. Und obwohl die Musik des Brooklyner Duos High Places sich nicht so explizit wie die genannten Musiker auf bestimmte Orte (und Zeiten) bezieht, zieht sie viel ihrer Wirkung aus einem ähnlichen Effekt.
Das erste reguläre Album „High Places“ wirkt wie ein mit Erinnerungsstücken vollgerümpelter Dachboden – im positiven Sinne natürlich. Denn die wilde Anhäufung von Sounds bringt es meist doch fertig in Richtung Songformat zu schlingern. Wo durchaus ähnlich verspielte Bands wie Psapp oder múm (in ihrer Spätphase) eher vom Lied ausgehen und dieses dann mit interessanten Geräuschen anreichern, lassen die High Places trotz Mary Pearsons prägendem Gesang immer den losen, verwehten Charakter ihrer Musik die Vorherrschaft behalten. In wunderbarer Übereinstimmung mit dem Bandnamen ist es tatsächlich dem Gefühl vergleichbar, von einem hohen Aussichtspunkt aus eine Landschaft zu betrachten, bei der „natürlich“ gewachsene Elemente und Bauwerke aufgrund der Entfernung zu verschmelzen scheinen. Die Fülle und Überlagerung von nahen Details und fernen Objekten – Blätter, Straßen, Dächer, Zweige, Dunst, Stromleitungen, Reflektionen auf dem Wasser – ergeben ein seltsam stimmiges Gesamtbild. Genau diese durch Uneindeutigkeit und Melancholie geprägte Distanz prägt die besten Lieder des Albums. Der Abschlusstrack „From Stardust to Sentence“ ist dabei in jeder Hinsicht der Höhepunkt der Platte.



Das neue Album „High Places vs. Mankind“ legt nun einen Großteil der quasi-kindlichen Verspieltheit des Debüts ab und fügt die Klangdetails in traditionellere Song- und Beatstrukturen ein. Die Stimmung ist etwas kühler und abgeklärter als auf dem Debüt, und vermeidet so nebenbei auch die regressive Putzigkeitsfalle vieler neuerer „Indietronica“-Bands.
Eher erinnert mich die Platte tatsächlich an Vashti Bunyans grandioses „Just Another Diamond Day“ – ein Album das, obwohl es in einem ganz anderem Genre zu Hause ist, mit ähnlich unprätentiösen Mitteln ein ungeheures Maß an emotionaler Tiefe ergründet.

Wednesday, June 30, 2010

Konzertgalerie (1): Christy & Emily


Ab jetzt regelmäßig beim Hyphish: gezeichnete Konzertbilder. Los geht es mit
Christy & Emily @ Cineding Leipzig, Februar 2010

Friday, April 30, 2010

Ajami


Was zunächst wie ein beinahe herkömmlicher Film über mafiöse Bandenkriege und blutige patrimoniale Rituale beginnt, entpuppt sich im Laufe der fünf inhaltlich äußerst komplexen Episoden als ein vielschichtiges Portrait israelisch-arabischer Realität. Scandar Copti und Yaron Shani haben mit Ajami ein lebhaftes Bild über den Alltag im gleichnamigen Stadtteil von Jaffa entworfen, das anhand ineinander verwobener Familiengeschichten erzählt wird. Es ist eine jener Gegenden, die in Fernsehnachrichten meist auf Morde, Raubüberfälle und Drogenhandel reduziert werden. Welche Motivationen hinter diesen Geschehnissen stecken, wird in Ajami durch die Innensicht verschiedenster Milieus – israelische Araber christlichen und muslimischen Glaubens, palästinensische „Illegale“, orthodoxe und säkulare Juden, Beduinen – gezeigt, die sich ihrerseits als extrem vielschichtig erweisen. Um sich oder ihren Angehörigen überlebenswichtige Vorteile zu verschaffen, bedienen sich die Charaktere nicht selten illegaler Mittel und geraten dadurch mal mehr, mal weniger zufällig auf die schiefe Bahn und damit in für sie nicht mehr kontrollierbare Halbwelt von Drogendeals und Clanfehden: so etwa Omar, um sich aus einer arabischen Blutfehde freizukaufen und der illegal in Israel arbeitende Malek, der den Krankenhausaufenthalt seiner Mutter finanzieren muss. Die Grenzen zwischen Tätern und Opfern, die hier Haus an Haus leben, verschwinden oft schon in der nächsten Episode. Auf engstem Raum wirken sich so die verschiedenen Geschehnisse unmittelbar auf andere Communities aus.

Wie sehr die Regisseure mit den Erwartungshaltungen der Zuschauer spielen, zeigt sich in der nicht chronologischen Erzählweise, den räumlichen Handlungssprüngen und der Schaffung beinahe voyeuristischer Momente: völlig unerwartet kommt es zu spontanen Handgemengen und Stechereien. Der oft hektische Schnitt, die wechselnden Kameraperspektiven sowie die Licht- und Farbgebung verleihen „Ajami“ einen dokumentarischen Charakter. Verstärkt wird diese fast schon naturalistische Darstellung durch den Einsatz von Laienschauspielern, die, entsprechend der Handlung im jeweiligen Milieu, untereinander Arabisch oder Hebräisch sprechen. Ästhetisch erinnert dies sehr an die frühen Filme von Pasolini sowie die sozialrealistischen Filme des Free Cinema.



Was Ajami neben der Erzählweise der Alltagskonflikte besonders interessant macht, sind die alltäglichen Berührungen abseits des politischen Hintergrundes und gängiger Nachrichtenklischees. Trotz vereinzelter tagespolitischer Bezüge (etwa der Polizist Dando, der mit dem Verschwindens seines Bruders, einem Soldaten der israelischen Armee, ringt), entspringen Differenzen und Konflikte eher existienziellen Bedürfnissen oder den Emotionen der Charaktere. Als Hemmnisse erweisen sich weniger die regelmäßigen Polizeikontrollen und -durchsuchungen, sondern überkommene Traditionen und quasi-feudalistische Abhängigkeits- und Herrschaftsverhältnisse. Wenn sich etwa Omar und seine Geliebte Hadir, Tochter seines herrischen Arbeitsgebers Abu-Elias, in der Nachbarstadt Tel Aviv auf klandestine Treffen beschränken müssen, um ihr Privatleben abseits patriarchalisch-religiöser Vorgaben ausleben zu können, bekommt man das Gefühl, sich zusammen mit den Protagonisten in einer gänzlich anderen Welt zu befinden, die nur als zeitweiliger Fluchtpunkt aus dem äußerst eingeengten Klimas Ajamis zugänglich ist.

Ajami (ISR 2009), Regie / Drehbuch: Scandar Copti, Yaron Shani, Darsteller u.a.: Fouad Habash, Eran Naim, Youssef Sahwani, Ibrahim Frege, Hilal Kabob, Ranin Karim