Sunday, November 29, 2009

Kevin Blechdom - Gentlemania

Bei der alljährlichen Auflistung der besten Platten, die das Jahr so hervorgebracht hat, habe ich zumindest in den letzten Jahren bei meinen persönlichen Favoriten eine Tendenz feststellen können: neben einer Lieblings-Konsens-Platte, auf die sich alle einigen können, spielte sich immer auch ein Geheimtipp auf die vorderen Plätze, der verglichsweise unterging in Hipsterkreisen. Letztes Jahr war es Gustav mit „Verlass die Stadt“, dieses Jahr darf sich Kristin Erickson alias Kevin Blechdom feiern lassen – für ihr aktuelles Album „Gentlemania“ sowie ein grandioses Konzert...


Eigentlich bekannt für experimentelle elektronische Klänge – zunächst als eine Hälfte des Electro-Duos Blectum from Blechdom und später auf zwei Soloalben - , wollte Kevin Blechdom nun eine Platte machen, „die sogar ihre Mutter ihren Freunden vorspielen kann ohne sich zu genieren“ (Spex Nr.320 Mai/Juni 09).
Nichtsdestotrotz ist ein ungewöhnliches, gar exzentrisches Album dabei herausgekommen, dessen größter Unterschied zu früheren Werken vor allem in der Wahl der Instrumente liegt: auf elektronische Klangexperimente wurde zugunsten einer klassischen Instrumentation mit viel Klavier verzichtet. Geblieben ist Blechdoms Vorliebe für melodramatischen Pop, die auch auf ihren elektronischeren Platten immer schon präsent war und auf „Gentlemania“ besonders deutlich zum Ausdruck kommt. Songs wie „Lazy“, „Face the music“ oder „Turn Around“, um nur ein paar zu nennen, haben enormes Ohrwurmpotenzial und überaus ergreifende Melodien.


Blechdoms Hang zum Theatralischen, der einen großen Reiz des Albums ausmacht, lässt die Platte vor allem live zu einem Gesamtkunstwerk erstrahlen, wie im April in der Leipziger Skala, wo Kevin Blechdom mit einer illustren Schar an vielseitig begabten MitmusikerInnen im Rahmen von Mrs. Pepsteins Radio-Jubiläumsgala ihr musikalisches Bühnenstück „Slobbersville“ aufführte und damit selbst Leute, die sonst eher wenig für Musicals oder Rockopern übrig haben, zu begeistern verstand. Mit einem konventionellen Musical hatte die Performance ohnehin nur die Tatsache gemeinsam, dass der dramaturgische Aufbau des Sets eine komplexere Geschichte erzählte, sowie diversen Tanzeinlagen, die stets unterhaltsam, aber nie peinlich gerieten. Zudem wurden munter Instrumente getauscht (alle Beteiligten schienen jeweils mindestens zwei zu beherrschen) und auch die Hauptrollen machten die Runde: so hatte jedes der Bandmitglieder die Gelegenheit, einen Song zu singen und als ProtagonistIn zu glänzen, obwohl Kevin Blechdom als Bandleaderin zweifelsohne der Star des Abends war. Eines der Konzerte des Jahres, das die Schreiberin dieser Zeilen zur Erkenntnis brachte: Wenn schon Musical, dann bitteschön so!

Wednesday, November 25, 2009

Live: Psychic TV @ Tanzbar Palette, Halle


Es hat einen Hauch von Warhols Factory und The Velvet Underground, wenn Psychic TV ihre hypnotischen, teilweise zehnminütigen Psychedelic-Nummern darbieten und Genesis P-Orridge dazu ganz die Diva-Kreuzung aus Nico und Divine gibt. Allerdings steht GPO keinesfalls unter Nostalgie-Verdacht, sondern hatte während der letzten 30 Jahre in sämtlichen Projekten (C.O.U.M. Transmissions, Throbbing Gristle, Psychic TV, etc.) visionäre Möglichkeiten ausgelotet. Ein gewisser Hang zu den Sechzigern, vor allem deren extremere Momente in Performance-Kunst, Musik, Drogenkultur und Neuropsychologie, war dabei dennoch stets spürbar. Mit der jüngsten Psychic TV-Reinkarnation (PTV3) bewegt sich Thee Majesty zusammen mit der ehemaligen Sexpod-Bassistin Alice Genese und einigen jüngeren MitmusikerInnen in psychedelischen Gefilden, die nicht zuletzt als musikalische Untermalung des pandrogyny-Konzepts, einer Art biologischer Transzendenz des als bloße Hülse verstandenen Körpers, dienen. Entstanden ist diese Idee im amerikanischen Exil mit der Künstlerin und geistigen Partnerin Lady Jaye Breyer, die tragischerweise vor zwei Jahren ums Leben kam, aber dank Videoprojektionen auf aktuellen Konzerten stets präsent ist. Musikalisch ergibt dies eine Vertonung der Früh-Neunziger-Acid-House-Experimente mit mehr oder weniger konventionellem Rock-Instrumentarium. So kommen PTV3 sogar gänzlich ohne alte Hits aus. Den Mitarbeitern des Whispers-Plattenladens sei an dieser Stelle nochmal gedankt, ein derartiges Konzert-Highlight in Halle organisatorisch möglich gemacht zu haben!